Liebe Aarti, woher kommt dein Name?
Aarti ist Hindi und kommt aus Indien. Ich bin als Kind deutscher Eltern in Süd-Indien geboren, in einer internationalen Lebensgemeinschaft mit dem Namen „Auroville“ (Die Stadt der Morgenröte). Dort leben etwa 2,500 Menschen aus 40 Nationen friedlich zusammen und beschäftigen sich mit der Frage, wie ein Leben aussehen kann, dass nicht durch wirtschaftliche und politische Zwänge bestimmt wird, sondern durch die individuelle Anbindung eines jeden Einzelnen an die göttliche Kraft. Das klingt vielleicht abgehoben, ist es aber in der Realität gar nicht. Es wird sehr viel regionale Entwicklungsarbeit geleistet, viel experimentiert und geforscht, sei es mit tropen-gerechtem Bauen, oder in den Bereichen Ökologie, Gesundheit oder Bildung. Meine Eltern sind auf einer Weltreise dort „zufällig“ gelandet als ich schon unterwegs war und sind dann drei Jahre geblieben. Ein indischer Freund hat sie zu dem Namen „Aarti“ inspiriert – Aarti ist ein Reinigungsritual bei dem Campher verbrannt und Sanskrit Texte rezitiert werden. Da Campher ohne Asche oder Rückstände verbrennt, klärt es die Atmosphäre und reinigt sie, zum Beispiel vor einer Hochzeit oder einer anderen größeren Zeremonie im Tempel.
Was macht dich beruflich aus und welche Stationen hast du bereits gesehen?
Ich habe Politikwissenschaften in Bremen, Berlin und Toronto studiert. Interessiert haben mich besonders die internationalen Beziehungen und Zusammenhänge der internationalen politischen Ökonomie. Ich habe mich mit transnationalem Feminismus, mit internationalen Organisationen, mit Globalisierungsfragen, mit Diskurstheorie, Konstruktivismus und anderen Themen befasst und meine Diplomarbeit über die Kritik farbiger Frauen am weißen Feminismus geschrieben. Parallel habe ich im Hauptstudium für die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) die Hauptstadtrepräsentanz in Berlin mit aufgebaut – über eine Initiativbewerbung für ein Praktikum begonnen - war ich am Ende stellvertretende Büroleitung und habe meine Grundausbildung (Level D) im Projektmanagement abgeschlossen.
Dann hat mich aber das Fernweh gepackt und ich bin nochmal zurück nach Toronto gegangen, mit einem Work & Travel Visum. Dort habe ich dann für die AHK Kanada (Deutsch-Kanadische Handelskammer) gearbeitet. Relativ schnell wurde ich mit einer strategisch wichtigen Marktstudie zum Thema „Möglichkeiten für deutsche Unternehmen im kanadischen Rohstoffsektor“ betraut. Damals, 2011, war gerade die erste deutsche Rohstoffstrategie verabschiedet worden und das Thema der sicheren Versorgung mit Rohstoffen auf einmal ein hochpolitisches Thema. Durch die Einfuhrzölle auf Seltene Erden, die China unerwartet eingeführt hatte, mussten deutsche Unternehmen Preissteigerungen von 600% innerhalb weniger Monate verkraften. Und so kam ich zum Rohstoffthema, was sich als Weichenstellung meiner professionellen Laufbahn entpuppte.
Ich habe mich über die nächsten Jahre sehr intensiv mit der politischen Ökonomie der internationalen Rohstoffmärkte und vor allem den Risiken für den Standort Deutschland befasst und eng mit dem Wirtschaftsministerium zusammengearbeitet. Dabei war ich in die Umsetzung der Rohstoffstrategie eingebunden. In diesem Zuge habe ich dann an der AHK ein Kompetenzzentrum für Bergbau und Rohstoffe aufgebaut, ein weltweiter Pilot. Nach der Einarbeitung in einen ganz neuen Themenbereich durch die Studie habe ich das Pilotprojekt gemeinsam mit der AHK Chile und dem Ministerium entwickelt und dann auch als Projektleiterin sechs Jahre lang geleitet und umsetzet. In diesen Jahren hat sich das Zentrum zu einem zentralen Ansprechpartner für deutsche Unternehmen etabliert. Ich habe Wirtschaftsdelegationen in Kanada begleitet und Unternehmen individuell beim Markteinstieg beraten. Aber für mich war immer die strategische Dimension des Projekts und die Einbindung in die deutsche internationale Rohstoffpolitik der spannendste Bereich. So kam es dann auch, dass ich zur Vordenkerin des „German Mining Network“ wurde. Das Netzwerk ist ein Zusammenschluss aus den mittlerweile sechs bestehenden Kompetenzzentren in Kanada, Chile, Brasilien, Peru, Südafrika und Australien mit verschiedenen deutschen Partnern in einer Plattform, um deutschen Unternehmen den Zugang zu Kontakten und Informationen in strategisch wichtigen Rohstoffmärkten zu erleichtern. Sowohl das Netzwerk als auch das Kompetenzzentrum bestehen weiter und haben großen Anklang gefunden. Das waren auf jeden Fall sehr spannende Jahre, mit dem Zentrum und dann dem German Mining Network so etwas ganz Neues zu entwickeln, was es noch nicht gab, und Teil einer politisch-wirtschaftlichen Entwicklung zu sein,das hat mir sehr gefallen.
Und aus der Überzeugung und Erfahrung heraus, dass es sehr viele deutsche Unternehmen, vor allem Mittelständler, gibt, die spannende Produkte und Services anbieten, denen es jedoch an einem professionellen englischsprachigen Marketing mangelt, habe ich dann auch nebenbei in Selbstständigkeit einen Übersetzungs-Beratungs-Service gestartet. Dabei mache ich eben mehr als die reine Übersetzung von Webseiten und Broschüren, ich entwickle und schreibe auch Inhalte von der Pike auf oder verfasse zum Beispiel Artikel über die Produkte und helfe bei der Veröffentlichung in internationalen Magazinen, generiere also hochwertigen „sponsored content“. Denn durch meine jahrelange Arbeit in einem sehr technischen Sektor gelingt es mir mit meinem geisteswissenschaftlichen Hintergrund sehr gut, komplexe und schwierige technische Inhalte so aufzubereiten, dass sie einem breiteren Publikum verständlich sind. Mehr Infos gibt es unter www.innovativetranslation.de.
In Toronto bin ich auch zweifache Mutter geworden und habe mich dann letztes Jahr entschieden mit meinen Kindern, meinem Partner und meinem Stiefsohn nach Deutschland zurück zu kommen. Jetzt arbeite ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for Advanced Mining Technologies an der RWTH Aachen (AMT). Am AMT bin ich für ein Projekt verantwortlich, was sich mit der Integration innovativer Lehr- und Lernkonzepte in die Rohstoffausbildung befasst, zugleich bin ich aber auch Leiterin des internen strategischen Projekts der Restrukturierung der gesamten Öffentlichkeitsarbeit und öffentlichen Positionierung des Instituts. Letztes Jahr habe ich als Auftakt eine weltweit erste Internationale Konferenz zum Thema High Performance Mining an der RWTH Aachen organisiert. Auch dafür habe ich das Konzept entwickelt und hatte die Projektleitung für die Umsetzung der Konferenz, an der im Dezember 175 Experten aus 22 Ländern teilnahmen, wir hatten Sprecher aus vier Kontinenten und die Konferenz ist auf sehr gute Resonanz gestoßen. 2020 werde ich die nächste Ausgabe organisieren, für 2019 bringe ich eine kanadische Delegation nach Aachen.
Du hast Projektmanagement in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erlebt. Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
Ich denke, insgesamt hat sich in den letzten 10-15 Jahren viel getan was die Verbreitung von Projektmanagement und PM-Methoden anbetrifft. Als ich anfing das Hauptstadtbüro aufzubauen, gingen Politik und Projektmanagement noch nicht selbstverständlich Hand in Hand – also professionelles Projektmanagement war im Bereich der politischen Entscheidungsfindung und Umsetzung von Initiativen nicht selbstverständlich (z.B. wie über Großprojekte entschieden wurde, oder wie die Einführung eines Gesetzes als Projekt verstanden werden konnte). Wie es damals im Wissenschaftsbereich war, weiß ich nicht. Aber Fakt ist sicher, dass die Wirtschaft als erstes das Projektmanagement als eigene Disziplin anerkannt und breit eingeführt hat. Und in Bezug auf die Wissenschaft muss man natürlich unterscheiden zwischen der Akquise von neuen Projekten – hier ist das Projektmanagement mittlerweile auf sehr hohem Niveau was die Anforderungen der Fördergeber an Projektanträge betrifft aber auch die Arbeit des PMO der Universität – und dem Projektmanagement sowohl von öffentlichen- und Industrieprojekten als auch das interne Projektmanagement an den Instituten. Beim Projektmanagement von laufenden Forschungsprojekten besteht die Herausforderung einer relativ hohen Fluktuation von wissenschaftlichen Mitarbeitern, gleichzeitig sollte hier Projektmanagement viel stärker in die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern integriert werden, entweder im Studium oder dann spätestens im Rahmen einer Schulung, wenn sie in die Projektarbeit einsteigen. Das habe ich auch schon angeregt.
Du hast jahrelang in Kanada gearbeitet. Welche Unterschiede hast du bei der Arbeitskultur und - vor allem - beim Projektmanagement erlebt?
Da ich bei einer deutschen Organisation in Kanada war, kann ich dazu leider nicht allzu viel sagen. In Kanada wird allgemein mehr Wert auf das PMP Zertifikat gelegt und PMI ist stärker prozessorientiert und arbeitet nach sehr klaren linearen Vorgaben. Die IPMA, die in Europa stärker vertreten ist, verfolgt eher einen kompetenzbasierten Ansatz im Projektmanagement und berücksichtigt auch, würde ich sagen, noch stärker Projektmanagement im öffentlichen Bereich und / oder kleinere Projekte, wo nur bestimmte Tools benötigt werden aber nicht ein gesamter Projektmanagement Prozess wie er durch das PMI vermittelt wird und welcher eher auf Unternehmen zugeschnitten ist.
Projektmanagement begegnet uns nicht immer nur im Berufsleben, sondern auch im Privatleben. Wie hängt das zusammen und wo gibt es Berührungspunkte für dich ganz persönlich?
Als arbeitende zweifache Mutter mit zwei Stiefkindern und Alleinverdienerin braucht es per se schon mal gute Projektmanagement-Fähigkeiten, nicht im Sinne einer Stakeholder Analyse oder eines Projektplans, aber die Fähigkeit gut organisieren, strukturieren und priorisieren, schnelle Entscheidungen treffen zu können und in der Lage zu sein, den Überblick über komplexe parallele Prozesse und eine Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben zu behalten und in ganz verschiedenen Rollen zu funktionieren. Das alles sind Fähigkeiten, die frau nur begrenzt in einer PM-Ausbildung lernt und die auch im Beruf nicht unbedingt so herausgebildet werden. Es hilft, wenn man einiges als Anlage schon mitbringt. Ich war immer schon sehr strukturiert und analytisch und bin organisiert an Dinge herangegangen, aber frau ist sicherlich gezwungen, diese Dinge zu lernen, damit sie der Alltag nicht erdrückt oder frustriert.
Ein Gespräch mit einer Freundin, die auch Mutter ist, hat das mal ganz gut auf den Punkt gebracht: Vor dem Kind war es relativ egal, ob man 8, 10 oder 12 Stunden im Büro war. Mit Kind ist der Unterschied zwischen 16 und 17 Uhr zu bestimmten Jahreszeiten entscheidend dafür, ob man noch auf den Spielplatz gehen kann oder nicht, oder ob man sein Kind 3 oder 4 wache Stunden erlebt. Das relativiert vieles, „puts it into perspective“, und fordert einen, eben auch auf der Arbeit ganz anders zu priorisieren und mit der eigenen Zeit umzugehen. Das hat positive Auswirkungen auf die Produktivität. Jedenfalls haben wir beide festgestellt, dass wir nicht weniger geschafft oder geleistet haben, obwohl wir unseren Arbeitstag fest auf 8 Stunden begrenzt haben.
Ein Umzug mit fünf Personen über den Atlantik ist auch ein Projekt von relativ hoher Komplexität und auch das habe ich gemeistert. Die eine Wohnung aufzulösen während die Einrichtung für eine neue 7000 km weiter von Verwandten per ebay Kleinanzeigen nach Anweisung eingerichtet wird, die Verschiffung der restlichen Sachen, der Papierkram, die Behördengänge, die Jobsuche, Schule, Kindergarten, es gab so unendlich viel zu organisieren und gleichzeitig zu bedenken.
Was würdest du deinem "20-Jährigen Ich" gerne sagen?
Das Leben ereignet sich ohnehin. Es ist in Ordnung, sich vom Leben mitnehmen, manchmal überrollen zu lassen. Wichtig ist, dass du mit Herz, Bauch und Verstand dabei bist und alles miteinander verbindest. „Richtige“ Entscheidungen gibt es nicht, nur deine eigenen, aber sei' dir bewusst, dass manche Entscheidungen weitreichende Konsequenzen haben werden. Deshalb lass' dir ruhig mehr Zeit und hole dir auch Rat von Menschen ein, die dich mögen und gut kennen, wenn wichtige Entscheidungen bevorstehen.